Carsten Hahn

Woher wir kommen

1996. Ein Schachcomputer bezwingt erstmals einen Schachweltmeister. BSE ist in aller Munde. Frankreich atomisiert das Mururoa-Atoll, das Klonschaf Dolly wird geboren. Der Computer verdrängt langsam aber sicher die Gestaltung mit Letraset Anreibebuchstaben. Druckvorlagen werden in Belichtungsstudios auf Film belichtet und Auszubildende im ersten Lehrjahr werden zu Druckereien geschickt um «eine Dose mit 60er Rasterpunkten zu besorgen.»
In diesem Jahr gründet sich in Wuppertal die Agentur pixelbunker - Visuelle Kommunikation. Deren ursprüngliches Betätigungsfeld ist die klassische Herstellung von Reprovorlagen für den Offset- und Siebdruck inklusive aller damit zusammenhängenden Dienstleistungen. Zu dieser Zeit wird mit den modernsten Systemen gearbeitet, die zur Verfügung stehen und auf ein exklusives Netz von Dienstleistern zurückgegriffen, die in ihrem jeweiligen Bereich echte Könner ihres Fachs sind.


Wo wir stehen

Im Laufe der Jahre ändert sich das Anforderungsprofil. Der Computer ersetzt alle arrivierten Techniken im Bereich Druckvorstufe und Design in einer Art und Weise, die nur mit der Erfindung des Automobils zu vergleichen ist. Belichtungsstudios gibt es kaum noch, Druckereien haben diese mit ihrer Inhouse-Druckvorstufe weitestgehend verdrängt. Filmbelichtungen werden nicht mehr benötigt, es wird direkt aus dem Computer auf Druckplatten belichtet. Dabei ‘tötete’ Adobe mit der erfolgreichen Einführung des PDF-X3 Formates die Arbeitsbereiche und –nischen vieler damaliger Kollegen. Es war halt doch sehr speziell und bedurfte einigen Wissens, um professionelle Druckvorlagen aus Programmen wie Corel Draw, Calamus oder anderer proprietärer Programme zu zaubern. Wer 1994 Corel-Dateien mit diversen Farbverläufen über eine Linotronic 300 auf eine Linotype 300 zu belichten hatte, weiß wovon ich rede.

Heute laufen PDF-Dateien durch einen zum größten Teil vollautomatisierten Workflow, Überfüllungen werden automatisch eingerechnet und die einzelnen Druckbögen automatisch ausgeschossen. Waren die ersten ‘Opfer’ die Belichtungsstudios, so trifft dies nun zum großen Teil die arrivierten und alt eingesessenen Druckereien. Online-Nutzen-Druckereien sind heute in der Lage, auf dem Markt Preise anzubieten, die die Warenkalkulationspreise der 'Druckerei um die Ecke' bei weitem unterbieten. Und dabei sind die Margen für diese so hoch, dass es noch für ein Werbebudget reicht, welches einem Automobil-Giganten zur Ehre gereicht. Jeder fußballaffine Mensch hat schon einmal die häufig geschalteten Bandenwerbungen in Bundesligastadien und die Halbzeit-Werbespots in Pay-TV Fußballübertragungen gesehen, wo mit 1000 Flyer für 19,90 € geworben wird.

Nun ist nicht alles Gold, was online glänzt. Der Kunde erkauft den günstigen Preis mit einem Mangel an etwas in der visuellen Kommunikation viel wichtigerem: Individualität, Flexibilität und Einzigartigkeit. Dazu passt ein Zitat von Jochen Malmsheimer: «Speisekarten in Straußenhodenleder gebunden, auf handgeschöpftem Büttenpapier mit Bimsstein geglättet und erhaben gedruckten Text, in Silber!» Nun, das wird bei Online-Druckereien nicht zu haben sein. Ist dieses Beispiel auch an den satirischen Haaren herbeigezogen, so enthält es doch Wahrheit, denn das Ergebnis der Nutzen-Druckerzeugnisse beinhaltet systembedingt einen Mangel an Individualität.

Wenn sich nun die Substrate der gedruckten Medien nicht mehr unterscheiden, wenn sich das Papier einer Visitenkarte der großen Rechtsanwaltskanzlei nicht mehr von dem der Speisekarte der nächsten Dönerbude unterscheidet, wenn nur noch auf «Bilderdruck matt/glänzend» gedruckt wird, dann bleibt nur noch Einheitsbrei, lieblos präsentierte Informationen, die suggerieren, dass dem Präsentierenden der Geldbeutel näher ist, als die eigene Außendarstellung.

 

wird fortgesetzt ...